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23. Oktober 2012

Die Qualifizierung von Arbeitslosen - Gewinner und Verlierer einer guten Idee

Dieter Schütz /pixelio.de

Dieter Schütz /pixelio.de

von Franz Hagelstein (Kaltenkirchen)

Was für die Vätergeneration noch die Ausnahme war, wird heute immer mehr zur Normalität: Gebrochene Lebensläufe! Mit dieser freundlichen Umschreibung sind Arbeitszeiten und ihre Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit gemeint.Nun könnte man diese Zeiten ohne Beschäftigung trefflich dazu nutzen sich einerseits um eine neue Beschäftigung zu bemühen – wenn denn ausreichend adäquate Stellen angeboten werden – oder sein Arbeitsleben neu auszurichten, sprich: sich zu qualifizieren.

Dazu braucht man ausreichend finanzielle Mittel. Und die fehlen zumeist. Also bietet die Bundesagentur für Arbeit zu eben diesem Zweck vielfältige Möglichkeiten der Qualifikation an. Doch aufgepasst! Förderung durch die Agentur für Arbeit erfährt nur, wer gering oder gar nicht qualifiziert ist, oder wer als Langzeitarbeitsloser registriert ist.

Am Anfang steht ein Programm zur Ausschreibung

In der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg sitzen Menschen, die Arbeitslosenstatistiken auswerten. Sie versuchen anhand einer Flut von Daten herauszufinden, welche Wissens- und/oder Qualifikationslücken bei den Menschen ohne Arbeit geschlossen werden müssen, um sie wieder in Lohn und Brot zu bringen. Daraus entstehen viele mehr oder minder große Zielgruppen, für die jeweils ein Qualifizierungsprogramm geschrieben wird.

Nun führt die Bundesagentur für Arbeit diese Programme – auch Maßnahmen genannt – nicht selber durch. So werden in bundesweiten Ausschreibungen unzählige regionale Maßnahmen publiziert. Allein auf eine solche Ausschreibung bewirbt sich eine Vielzahl von privaten und öffentlichen Trägern. Und je mehr Bewerbungen ein Träger abgibt, umso größer die Chance, dass er den einen oder anderen Zuschlag erhält. Es muss ein lohnendes Geschäft sein, denn die Bewerber stürzen sich in einen ruinösen Bieterwettbewerb um die begehrten Lose. Den Zuschlag zur Durchführung einer Maßnahme erhält – wen wundert es – der günstigste Anbieter.

Nun werden im Sinne der Gleichbehandlung aller Interessenten die Maßnahmen zeitlich begrenzt und immer wieder auf‘s neue ausgeschrieben. Die ruinöse Preisspirale nach unten wird weiter angeheizt und die Gewinnmargen für die Träger immer dürftiger. Gleichzeitig wandert eine Maßnahme von Träger zu Träger und das hat verheerende Folgen:

  • Die Ausschreibungskosten der Träger mindern das zur Verfügung stehende Finanzvolumen
  • Nach Abzug aller Kosten für Infrastruktur und Verwaltung verkleinert sich der Teil für die eigentliche Qualifizierungsmaßnahme erneut
  • Die Träger können kein langfristiges know-how aufbauen, denn Feste Arbeitsverträge mit Dozenten und Referenten sind ob der relativ kurzen Laufzeiten nicht möglich, Dozenten arbeiten demzufolge überwiegend als Scheinselbständige, zahlen Steuern, Sozialabgaben ebenso wie die von ihnen eingesetzten Unterrichtsmittel und Fahrtkosten zu den Einsatzorten von den ohnehin mageren Honoraren (18 bis 21 € je Stunde)
  • Die Personalkalkulation ist so knapp, dass Ausfälle (z.B. wegen Krankheit) in der Regel nicht abgedeckt werden können
  • Feste Stellen für Psychologen oder Verwaltungspersonal werden gestrichen oder zusammengelegt.
  • Der Einsatz eines Mitarbeiters wird in die Kalkulation für mehrere (parallel laufende) Maßnahmen wiederholt berücksichtigt. Er wird mehrfach berechnet.


Was bedeutet das für die Angestellten und Mitarbeiter?

In der Verwaltung werden die Aufgaben überwiegend von Frauen wahrgenommen. Die Gehälter sind eher dürftig. Die Arbeitsbelastung durch Mehrarbeit und der Krankenstand hoch. Das wiederum führt zu einer vergleichsweise hohen Fluktuation.

Dozenten und Referenten arbeiten in prekären Arbeitsverhältnissen. Sie erhalten ihre Einsatzpläne von Woche zu Woche. Kann ein Dozent einen Teil der zu vermittelnden Inhalte nicht oder nur unzureichend abdecken, wird er in der Regel durch einen Kollegen ersetzt. Der ersetzende Kollege wiederum hinterlässt an anderer Stelle eine Lücke, die es zu schließen gilt. Aus diesen permanenten Verschiebungen entsteht ein Dozentenkarussell. Dozenten wechseln so häufig Einsatzort und Träger. Laufen Maßnahmen aus oder brechen Einsätze weg, besteht kein Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Betroffenen sind dann gezwungen Arbeitslosengeld II zu beantragen. Über mögliche Folgen wie z.B. Altersarmut sei an dieser Stelle nur kurz hingewiesen.

Was kommt bei der Zielgruppe an?

Die Veranstaltungsorte liegen überwiegend verkehrsgünstig und sind mit Mitteln des öffentlichen Personennahverkehrs  zu erreichen. Der Zugang zu den Gebäuden hingegen ist selten behindertengerecht gestaltet. Die eigentlichen Räumlichkeiten liegen – weil sie kurzfristig verfügbar und kostengünstig sind – in den oberen Stockwerken älterer Bürogebäude und sind selten mit einem Fahrstuhl zu erreichen.
Die Ausstattung der Räume kann als spartanisch-funktional bezeichnet werden. Große Tische, Bürostühle und meist ein in die Jahre gekommener Laptop mit ebenso aktueller Software je Maßnahmeteilnehmer.
Ein Flipchart, manchmal eine Tafel, selten ein Beamer oder eine Moderationswand mit den erforderlichen Mitteln runden das Bild ab.

Dozenten, die ihre Vorbereitung an den Vorgaben der Qualifizierungspläne ausgerichtet haben, sehen erwartungsfroh einer mehr oder minder motivierten Ansammlung von Teilnehmern entgegen.

Vorprogrammierte Enttäuschungen

Was in Nürnberg am Schreibtisch so klug ausgedacht wurde, trifft nicht unbedingt die Wirklichkeit vor Ort. Hier kommen Menschen von den unterschiedlichsten Horizonten zusammen und werden in einen Topf geworfen. Ob Menschen mit körperlichen oder seelischen Behinderungen, keiner bis hin zu einer akademischen Ausbildung, mit Migrationshintergrund und unterschiedlichem Sprachniveau, einem Altersspektrum von 18 bis 64 Jahren … sie alle sollen in gleichem Maße und gemeinsam qualifiziert werden.

Die ausführenden Träger freuen sich über jeden Teilnehmer an der Maßnahme. Er spült bares Geld in die ohnehin knapp kalkulierten Kassen. Die Jobcenter freuen sich über bereinigte Statistiken. Die Betroffenen freuen sich weniger. Ihnen wird die Sinnhaftigkeit zu keinem Zeitpunkt deutlich. Die Programminhalte treffen nur zu selten ihre Erwartungen und Ansprüche. Spätestens hier wird das Dilemma deutlich! Die ursprünglich definierte Zielgruppe wird nicht erreicht, weil wirtschaftliche Interessen die Nürnberger Vorgaben verwässern.

Eine Vision

Stellt sich die Frage nach einer effizienteren Durchführung. Die Planungen aus Nürnberg sind nicht zu beanstanden, wenn in der Folge einige Aspekte grundlegend geändert werden:

  • Den Trägern wird eine längere Laufzeit der Maßnahme zugestanden
  • Alle Mitarbeiter (auch die Dozenten) erhalten eine Festeinstellung nach Tarif
  • Der Träger hat für eine ausreichende Personaldecke Sorge zu tragen, um Krankheit, Urlaub usw zu berücksichtigen
  • Die Schulungsräumlichkeiten müssen behindertengerecht ausgestattet und zugänglich sein
  • Alle erforderlichen Lern- und Hilfsmittel für die Durchführung der Maßnahme müssen bereitgestellt werden
  • Der Teilnehmerkreis entspricht unbedingt der vorgegebenen Zielgruppe
  • Jeder Teilnehmer wird gezielt auf die Maßnahme vorbereitet, damit er daraus einen größtmöglichen Gewinn zieht und wieder an den Arbeitsmarkt heranrückt oder – noch besser- wieder Fuß fasst.

Antwort eines Trägers: „Aber das versuchen wir doch schon!“ – Eben! Versuchen! Das reicht nicht!