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10. Mai 2013

Gegen das Vergessen - Über den Umgang mit der Vergangenheitsbewältigung

Die eindrucksvolle Gedenkwand im Innenhof des Jüdischen Museums -Schloss Gottorf

Die eindrucksvolle Gedenkwand im Innenhof des Jüdischen Museums -Schloss Gottorf

Heinz-Michael Kittler / Björn Radke

In der Reihe "Kreisreise" zur Kommunalwahl des Schleswig-Holstein Magazins,  (NDR 3 Fernsehen, Regional) drehte vorgestern ein Team in unserem Kreistag zur Aufarbeitung der Geschichte des Segeberger Landrates Waldemar von Mohl während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Die Ausstrahlung ist für den 15.05.2013 um 19:30 Uhr im dritten Regionalprogramm Schleswig-Holstein vorgesehen.

Offensichtlich liegt der Kreis Segeberg an der Spitze eines Trends zur gründlicheren Geschichtsaufarbeitung. Und das in einem Bundesland, dass den anderen um Jahrzehnte hinterherhinkt. Das hatte Gründe. Der Historiker Karl Heinrich Pohl fällt über die Zeit nach 1945 ein hartes Urteil: „Ein Bruch mit dem Nationalsozialismus – zumindest ein innerer und radikaler Bruch – hat dort nicht oder doch nur bei einer verschwindend kleinen Minderheit der Bevölkerung stattgefunden. Einen Austausch der Eliten gab es nicht. Im Gegenteil, braun zog braun gewissermaßen magisch an – und das beherrschte das Land lange Zeit. Besonders in Schleswig-Holstein.“

Nach kurzer Schockstarre und marginalen Entnazifizierungsversuchen begann das gegenseitige Ausstellen von Persilscheinen und eine unerträgliche Legendenbildung der ehemaligen NS-Akteure, von denen viele wieder in höchste Ämter - bis hin zum Ministerpräsidenten - aufsteigen konnten.

Die wenigen Gerichtsverfahren kamen teilweise nur deshalb zustande, weil einige Täter dreist Klagen wegen Lücken im Rentenverlauf anstrengten, da Zeiten bei SS, Polizeieinsatzgruppen oder als Angehörige der deutschen Besatzungsmacht fehlten, sie sich dann aber in Widersprüche verwickelten. Die Opfer waren entweder tot oder hatten keine Beweise, angeklagt wurde nur, was an Grausamkeiten noch über die Nazi-Gesetze hinaus ging. Befehlsempfänger wurden überhaupt nicht belangt und Verjährungsfristen taten ein Übriges.

Wie wir alle wissen, ist rechtes Gedankengut auch bis heute nicht verschwunden. Der NSU-Prozess, die NPD und ihre aktuellen Splittergruppen auch in Schleswig-Holstein und manche Umfragen zeigen ein anderes Bild, von Bundesbehörden wie dem Verfassungsschutz mit seinen merkwürdigen Unterkonstruktionen ganz zu schweigen.

Trotzdem - seit sich die osteuropäischen und russischen Archive geöffnet haben, seit die Geschichtsaufbereiter der ersten Stunde, meist selbst belastet, durch eine andere Historikergeneration ersetzt ist, wird auch die noch geltende Version des Segeberger Heimatvereins im Kreisarchiv über Landrat von Mohl ein Auslaufmodell sein. Dort heißt es: "von Mohl wurde 1945 von der Besatzungsmacht entlassen - Pensionierung." Und weiter: "Landrat von Mohl gehört zu jenen Landräten, die bei der Bevölkerung in hohem Ansehen standen" (welche im Kreis zu über 70% NSDAP wählten). Und an anderer Stelle: "Seine Entfernung aus dem Amt war weder ein gerechter noch ein glücklicher Akt. Wie sehr hätte gerade er.nach 1945 seinem Kreis Segeberg dienen können."

Diese Festschrift (100 Jahre Landräte im Kreis Segeberg) stammt aus dem Jahr 1967 und wurde mit Geleitwort von Ministerpräsident Lemke eingeführt. Der liebte schon immer das offenes Wort, z.B. als Nazi-Bürgermeister von Eckernförde: "Wir Nationalsozialisten stehen auf dem Boden des Führerprinzips. Wir alle, jeder an seiner statt, sind dazu aufgerufen, die Hammerschläge des Dritten Reiches auszuführen"

Pohl kommt unabhängig von seinem harten Urteil zum Schluss, dass Schleswig-Holstein, „wenn auch sehr zögerlich, wenn auch vielleicht nicht aus innerem Drang und ganz freiwillig, sondern beeinflusst durch günstige nationale und internationale Umstände, im wesentlichen zu einem stabilen demokratischen Bundesland herangewachsen ist – und das trotz der ausgebliebenen Entnazifizierung.“

Was hat das mit uns heute zu tun? Bei der Kreis Segeberger v. Mohl-Debatte in den Ausschüssen waren deutliche Abwehrreflexe jedenfalls nicht zu überhören und sie laufen bezeichnender Weise ganz parallel zu den Abwehrreflexen gegenüber den Aufarbeitungsinitiativen unserer linken Partei.

Es geht darum 80 Jahre nach der nationalsozialistischen Machtergreifung neben der aktive Gedenkarbeit  darüber nachzudenken, „wie Vergangenheit – und zudem eine so schreckliche wie in Deutschland – in der Praxis „richtig“ bewältigt werden kann, wie vollständige und notwendige Umwälzungen gestaltet werden müssen – in demokratischen Staaten, im 21. Jahrhundert und mit Methoden des Rechtsstaates.“ (Pohl)

Vielleicht gibt es jetzt aber die Chance, wo Historiker um die Aufarbeitung der Restauration nach 1945 genau so viel Wert legen wie um die Aufarbeitung des Nationalsozialismus selbst und ganz aktuell sogar Bundesministerien beginnen, ihre braunen Wurzeln freizulegen. Der Kreis Segeberg kann stolz auf sich sein, dass eine Mehrheit auch hier auf Initiative der Linken aktiv geworden ist.