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18. September 2013

Vier Tage vor der Wahl: Nur DIE LINKE bleibt berechenbar!

Björn Radke

Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat mit dem "Stinkefinger" in der öffentlichen Wahrnehmung wohl die "Arschkarte gezogen". Diese Geste sei eines Kanzlerkandiaten nicht würdig, der - würde er gewählt - Deutschland in der Welt vertreten solle. Daher die Aufregung von rechts bis ganz nach links über seinen Stinkefinger, den er für das »SZ-Magazin« zeigte. In seinem Interview ohne verbale Antworten hatte Steinbrück auf die launige Frage nach seinen vielen Negativ-Titulierungen genauso launig den Stinkefinger gezeigt und fotografieren lassen. War dies die einzig aufregende Aktion des zurückliegenden Wahlkampfes?

Nein, nein, jetzt nun auch noch der Schatten der schrägen Pädophilie-Debatte bei den GRÜNEN der 80er Jahre auf Jürgen Trittin, weil er in einem kommunalen Wahlprogramm als pressesrechtlich Verantwortlicher gezeichnet hat. Dort war u.a. auch die Straffreiheit für Sex mit Kindern gefordert worden. Da nützt es auch nichts, dass die GRÜNEN den Parteienforscher Franz Walter beauftragt haben, die Entgleisungen der GRÜNEN aufzuklären und zu dokumentieren. Der CDU fiel nichts besseres ein, als den Rückzug des Spitzenkandidaten Trittin zu fordern. Mit Verlaub: Dieser hat sich nicht den Mißbrauch von Kindern zu Schulden kommen lassen, anders also als die katholische Kirche, deren führende Köpfe aber nicht zur Verantwortung gezogen werden.

Wenige Tage vor der Wahl scheint es nur noch um die Frage zu gehen, ob es der FDP nach ihrem krachenden Rauswurf aus dem bayrischen Landtag mithilfe einer Zweitstimmenkampagne doch noch gelingen kann in den Bundestag zu kommen.

Die Medien sind sich weitgehend einig. Der Wahlkampf interessiert die große Mehrheit der Wahlbevölkerung wenig. Neben dem Stinkefinger sorgte allenfalls noch der Vorschlag für Furore, in öffentlichen Kantinen einen »Veggie Day« einzurichten. Eine Schlussfolgerung: Die politische Windstille hat nichts mit aufsteigender und absinkender, feuchter oder trockener Luft zu tun, sondern mit dem drucklosen Zustand von CDU/CSU und SPD, die sich beider jeder sich bietenden Gelegenheit darin bestärken, daß die schröder´sche Agenda 2010 die grundlegende Entscheidung war, die zum heutigen Wohlstand geführt habe. Die politische Klasse macht hingegen mehrheitlich die Lethargie der Bevölkerung für diesen faden Wahlkampf verantwortlich. Die Begründung für die WählerInnenschelte: Kein EU-Land sei so gut durch die Wirtschaftskrise gekommen wie Deutschland. Auch die Aussichten seien gut. Es habe sich eine gewisse Zufriedenheit breit gemacht. Wegen dieser relativ hohen Grundzufriedenheit wecke die anstehende Ermittlung des politischen Kräfteverhältnisses wenig Interesse.

Zumindest die Demoskopie kommt zu einer anderen Deutung: Nichts ist unzutreffender als die These von einer Grundzufriedenheit oder gar der politischen Apathie der Mehrheit der Bevölkerung. Das Rheingold-Institut kommt zu einer tiefer schürfenden, empirisch fundierten These, die überraschend und alles andere als beruhigend ist: Denn draußen im Land ist längst nicht alles »heile Welt«, ruht der See nicht still. Unter der Decke brodelt es, das »Paradies Deutschland« scheint nach Ansicht vieler BürgerInnen bedroht, das Schreckgespenst Krise führt zu erstaunlichen und besorgniserregenden Ressentiments.

»Viele Wähler sind zwar stolz oder dankbar, dass Deutschland bislang der Krise trotzen konnte. Dennoch herrscht ein latentes Unbehagen im Land.  Deutschland wird als ein bedrohtes Paradies erlebt, in dem Werte wie Gerechtigkeit langsam erodieren. Die Zukunft ist für die Wähler derzeit nicht
mit verheißungsvollen Vorstellungen verbunden, sondern sie erscheint hauptsächlich als finstere Drohkulisse und Krisenszenario. Das Schreckgespenst der Krise lauert immer noch vor  den  Grenzen  Deutschlands. Es soll daher weiterhin so lange wie möglich gebannt und in Schach gehalten werden.
Der Glaube an eine bessere Zukunft, für die die Parteien streiten können, ist der diffusen Sehnsucht nach einer permanenten Gegenwart gewichen. Die Stimmung im Lande lässt sich als Plätscher-Party beschreiben: Die Versorgung soll gewährleistet sein, die kleinen Freuden des Alltags sollen genossen werden. Auf die große Sause wird jedoch verzichtet: Man schaltet im Alltag auf Autopilot: alles soll seinen gewohnten Gang gehen…  
Der Wunsch, das bedrohte Paradies Deutschland aufrechtzuerhalten, eint derzeit die politischen Lager.
Parteiübergreifend geben 81% der Wähler an, dass soziale Gerechtigkeit das primäre Ziel der Bundesregierung sein sollte. Und 78% der Wähler stimmen der Aussage zu, dass Deutschland in Europa stärker seine eigenen Interessen wahren sollte.
Und umgekehrt stimmen nur 37% der Wähler der Aussage zu, dass sich Deutschland in Zukunft stärker in die europäische Gemeinschaft integrieren sollte. Es gibt allerdings große Unterschiede in den Vorstellungen der Wähler, wie der paradiesische Zustand langfristig erhalten werden kann und welches
Bild Deutschland in Zukunft abgeben soll.« (1)

Es gibt aber auch eine andere Strömung in der Wählerschaft: wachsende Ressentiments. In der Studie des Rheingold-Instituts wird ein bedrohlicher Trend  identifiziert: In einer Aggressivität, die in den letzten 25 Jahren in Rheingold-Studien noch nicht beobachtet wurde, wird angeprangert, dass »das eigene Geld im Süden versickert«; dass Zuwanderer und soziale Randgruppen »Geld von Vater Staat geschenkt bekommen«. Im Fokus des Hasses sind »Hartzer« und »Sozialschmarotzer«, die »Faulenzer« im Süden, die üblichen Verdächtigen eben. In der Studie heißt es dazu: »Die Angst vor der eigenen Ohnmacht beschwört die Sehnsucht nach eigener Tatkraft und der verlorenen Gewissheit, Herr im eigenen Haus zu sein.«

Es gibt also in diesem Land eine latente Mehrheit, die an der der Stärkung sozialer Gerechtigkeit festhält, aber die Wut in sich hineinfrisst. Und es gibt eine manifeste Gefahr von Rechts, die sich ermutigt fühlt, je mehr alle anderen das Vertrauen in die Politik verlieren. Zudem ist der Eindruck, dass die Wahl entschieden sei oder irrelevant und bloße Therapie, völlig falsch.

Die Chance der LINKEN

Während das rot-grüne Lager zahlenmäßig nicht zulegt, profitiert DIE LINKE von deren Schwäche und der mehrheitlichen Antikriegsstimmung nicht nur in der deutschen Bevölkerung. Die angekündigte Bombardierung Syriens durch die USA und Frankreich haben die Aktualität einer Friedenspolitik unterstrichen und hier hat die Linkspartei wiederum deutlich die Mehrheit der Bevölkerung an ihrer Seite. Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, hat die Syrien-Politik der SPD deutlich kritisiert. »Ich finde es unerträglich, dass sich die SPD vor der Wahl friedenspolitisch engagiert gibt, und danach, wenn es darum geht, eine Einsatzverlängerung abzusegnen, mit fliegenden Fahnen zustimmt.« DIE LINKE will, dass der Bundestag in einer Sondersitzung über die in der Türkei stationierten Patriot-Raketen entscheidet, wenn es zu Angriffen der USA auf Syrien kommen sollte. Mindestens einem Teil der WählerInnen dämmert, dass auf die Sozialdemokratische Politik nur insoweit Verlass ist, soweit sie von Links deutlich politisch unter Druck gesetzt wird.

Die Linkspartei wird trotz offenkundiger organisatorischer Schwächen von mehreren Instituten in Umfragen zwischen 8% und 10% eingeschätzt. Optimisten proklamieren die Egalisierung mit dem Stimmergebnis von 2009, was wohl eher unwahrscheinlich ist. Tatsächlich wäre ein Ergebnis um die 10% ein großer Erfolg, wenn man bedenkt, dass die Partei im zurückliegenden Jahr durch die Härte innerparteilicher Auseinandersetzung erheblich an politischer Glaubwürdigkeit verloren hatte.

Seit Monaten ist eine kontinuierliche Verbesserung der Werte zu beobachten. Dabei ist zu eine Verschiebung des Zuwachses in Ost- und Westdeutschland zu verzeichnen. In den neuen Bundesländern liegt DIE LINKE derzeit bei 19% (Ergebnis 2009: 26,4 %) und in den alten Bundesländern bei 5% (Ergebnis 2009: 8,3 %). Von diesem allgemeinen Trend scheint auch der Landtagswahlkampf in Hessen erfasst. Dort sieht das Politbarometer des ZDF die Linkspartei auch im nächsten hessischen Landtag vertreten – wenn auch mit 5% nur knapp.

Auf einem Parteikonvent in Berlin forderte die Parteiführung SPD und Grüne auf, ihre grundsätzliche Ablehnung einer Zusammenarbeit aufzugeben. Angesichts der knappen Umfragewerte machen die Vorsitzenden die Option auf: »Wir sind bereit, Angela Merkel vom Chefsessel zu stürzen.« Gregor Gysi betont, dass es für eine Regierungsbeteiligung keinen Richtungswechsel in der Politik der Linken geben werde. Dazu legten Partei- und Fraktionsführung dem Konvent ein 10-Punkte-Papier vor, in dem es heißt: »Die LINKE im Parlament wird Ideenwerkstatt für den sozialen Fortschritt und Motor für den Politikwechsel sein. Unsere Partei wird in der kommenden Wahlperiode zehn konkrete Kernziele eines Politikwechsels in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen und dafür politische Einstiegsprojekte definieren, die unsere neue Fraktion in den ersten Monaten auf die politische Tagesordnung setzen wird:

    Wir wollen den Niedriglohnsektor abbauen und das Reallohnniveau erhöhen.
    Wir wollen Altersarmut abbauen und das Rentenniveau erhöhen.
    Wir wollen die Lohn- und Renteneinheit vollenden.
    Wir wollen eine Gerechtigkeitswende im Steuersystem.
    Wir wollen ein Land ohne Armut.
    Wir wollen die Zwei-Klassen-Medizin abschaffen.
    Wir wollen, dass Demokratie für alle erfahrbar wird.
    Wir wollen eine Energiewende mit Sozialsiegel.
    Wir wollen einen kategorischen Gewaltverzicht in der deutschen Außenpolitik verankern und das Geschäft mit dem Tod ächten.
    Wir wollen, dass Deutschland zum Motor einer sozialen Wende in Europa wird.«

Diese Vorschläge sollen verstanden werden als »Einstiegsprojekte« in die Richtung, in die DIE LINKE das Land verändern will. Da die Umsetzung unter den gegebenen Umständen am NEIN der SPD und den GRÜNEN scheitern wird, bleibt die Vermutung, dass es sich hier um den Versuch einer Initiative handelt, in der öffentlichen Debatte nach der Wahl wieder Zeichen der Stärkung der politischen Linken zu setzen. Das ist allemal begrüßenswert.

Es bleibt dabei: Wer das Prgramm Merkel nicht will, muß DIE LINKE wählen!


1   Rheingold-Institut, Wahl 2013: Das bedrohte Paradies. 6.9.2013.