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26. Februar 2014

Die Kehrseite des Segeberger Booms

Kreishaus in Bad Segeberg

Björn Radke

In der Tat sind die Wirtschaftsdaten des Kreis positiv. Kreistagspräsident Winfried Zylka (CDU) weist aber zurecht darauf hin, dass der Kreis strukturell unterfinanziert ist, obwohl die Gemeinden des Kreises wirtschaftlich leistungsfähig sind. Dies läge einerseits an der generellen finanziellen Überforderung der Kreise und Kommunen, zum anderen aber am System des kommunalen Finanzausgleichs.

Die strukturelle Unterfinanzierung des Landes und der Kommunen hat ihre Ursache in der von der einer Allparteienkoalition (bis auf DIE LINKE) beschlossenen »Schuldenbremse« in Bund und Land. Um diese umzusetzen, sind in allen Bereichen des öffentlichen Sektors Kürzungsprogramme durchgezogen worden, deren Folgen u.a. die Unterfinanzierung des Kreises und der hohe Schuldenstand sind: Ende 2013 beträgt der Schuldenstand ca. 80 Mio EURO. Es ist also noch eine andauernde Auseinandersetzung mit der von der Landesregierung angestrebten Reform des Finanzausgleichgesetzes (FAG) zu rechnen, zumal diese lediglich die chronische Unterfinanzierung neu verteilen will.

Die Zahl der Arbeitslosen im Kreis Segeberg ist im gesamten Zeitraum vom Krisenjahr bis heute um ca. 1.200 gesunken. Im Januar waren 7.591 Männer und Frauen arbeitslos. Die Arbeitslosenquote ist von 4,8 Prozent im Vormonat auf 5,3 Prozent gestiegen. Zu den 7.591 Arbeitslosen kamen im Januar 1.931 weitere Menschen, die ohne Arbeit sind. Insgesamt 9.522 Personen befanden sich damit im Kreis Segeberg in Unterbeschäftigung. Die Unterbeschäftigung ist in den letzten zwölf Monaten um 527 Personen gestiegen.

Die Zahl der älteren Arbeitslosen bleibt weiterhin hoch. Im Kreis Segeberg sind 2.484 Arbeitslose 50 Jahre oder älter. Fast jeder dritte Arbeitslose gehört damit zu diesem Personenkreis. „„Wenn Arbeitslosigkeit eingetreten ist, haben es die Lebensälteren nach wie vor besonders schwer wieder in Arbeit zu kommen“, so der Leiter der Agentur für Arbeit Elmshorn.

Das wiederum wirft ein weiteres Problem auf. Nach einer (Pestel-Institut) Studie vom Sommer letzten Jahres , die von einem Bündnis aus Sozialverband VdK Deutschland, der Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt und mehreren Interessenverbände aus der Bauwirtschaft in Auftrag gegeben wurde, werden im Jahr 2035 im Kreis Segeberg rund 76000 Menschen älter als 65 Jahre sein – 43 Prozent mehr als heute. Die Prognose für den Landkreis Segeberg geht von rund 11440 Pflegebedürftigen im Jahr 2035 aus. Daher werde es höchste Zeit, barrierearme Wohnungen für Senioren zu schaffen, mahnt Günther. „Ziel muss es sein, die älteren Menschen so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden wohnen zu lassen. Auch dann noch, wenn sie dort ambulant gepflegt werden müssen.

Die Alternative ist der Umzug ins Pflegeheim. Genau das wollen viele Ältere aber nicht.“ Zudem führe die stationäre Pflege im Heim zu enormen Mehrkosten. Den Angaben des Instituts zufolge kostet ein Pflegeplatz im Heim jährlich rund 7200 Euro mehr als ambulante Pflege zu Hause. Demgegenüber sei der Umbau zu einer barrierearmen Wohnung mit durchschnittlich 15600 Euro zu machen, rechnet Günther vor. „Rein wirtschaftlich betrachtet, lohnt es sich also, in das altersgerechte Bauen und Sanieren zu investieren.“ Schon mit der Einsparung der Extrakosten für die Heimpflege lasse sich eine seniorengerechte Wohnungssanierung in gut zwei Jahren finanzieren.

Insgesamt müssen laut Institut Pestel im Kreis Segeberg 120,2 Millionen Euro in das altersgerechte Bauen investiert werden. Nur so könne es gelingen, die rund 7700 zusätzlichen Senioren-Wohnungen zu schaffen. Das funktioniere jedoch nur dann, wenn es finanzielle Anreize gebe. Daher fordert das Institut eine direkte Förderung durch den Bund.  Die Region dürfe nicht auf eine „graue Wohnungsnot“ zusteuern. Prognosen für das Wohnen im Alter. Eine weitere zentrale Baustelle für linke Politik innerhalb des Gesamtkomplexes „Wohnen“ ist damit benannt.

Ein weiterer Aspekt ist in der Studie „Wohnen65plus“ aufgegriffen. „Es wird sich aber auch die Wohnsituation bei einem Teil der Eigentümerhaushalte zuspitzen. „Der Unterhalt eines Einfamilienhauses, nach wie vor die häufigste Form des Wohneigentums, das zudem in der Regel für einen größeren Haushalt konzipiert war, ist mit derartigen Einkommen dauerhaft kaum möglich. (...)Da in Teilen des ländlichen Raums auch der Verkauf der Immobilie kaum mehr realisierbar ist, sind einkommensschwache Eigentümerhaushalte in ihrem unsanierten und barrierebehafteten Wohneigentum „gefangen“. Die in Ansätzen bereits heute erkennbaren Probleme bei Mieter- und Eigentümerhaushalten der Altersgruppe 65plus mit geringen Einkommen werden sich bei einer Fortsetzung der aktuellen Trends weiter verschärfen.“ 

Man darf darauf gespannt sein, ob die Parteien im Kreis diese Herausforderung annehmen und enstsprechende Strukturmaßnahmen auf den Weg gebracht werden.