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6. Mai 2014

Investitionsstau auflösen !

Björn Radke / Axel Troost

Schleswig-Holstein braucht 900 Millionen Euro zur Sanierung maroder Landesstraßen, die das Land aber nicht hat. Ab 2014 stehen laut Ministerium insgesamt 57,5 Millionen Euro für Bauleistungen an Landesstraßen zur Verfügung. Rund 1160 Kilometer Landesstraßen in Schleswig-Holstein sind reparaturbedürftig. Das sind nach Angaben des Verkehrsministeriums etwa 32 Prozent aller Landesstraßen. In den kommenden zehn Jahren seien insgesamt 900 Millionen Euro — 90 Millionen pro Jahr (Preisstand 2013) — erforderlich, um den Sanierungsstau bei Landesstraßen abzubauen.

Schleswig-Holstein gehört zu den Ländern, die noch erhebliche Anstrengungen vor sich haben, um die Vorgaben der sich selbst verordneten Schuldenbremse einzuhalten. 2015 soll die Neuverschuldung von 280 auf 180 Millionen Euro sinken. 2016 sollen der Landesetat ausgeglichen und ab 2017 die Altschulden abgetragen werden. Daran wird aber selbst in Berlin gezweifelt.

Die politische Debatte zur Lösung des Verfalls der Infrastruktur tritt auf der Stelle wegen der Schuldenbremse und der Angst der CDU/SPD-Politik vor unpopulären Entscheidungen. Denn anders als in früheren Jahrzehnten können Bund und Länder ihre Finanzierungsprobleme nicht mehr über neue Schulden lösen. Ab 2020 müssen die Länder in konjunkturell normalen Zeiten ohne neue Kredite auskommen, der Bund ist schon 2016 dran, hat aber einen kleinen Spielraum. Union und SPD haben sich allerdings versprochen, diesen nicht auszunutzen, sondern bereits ab 2015 den Etat erstmals seit 1969 ohne neue Kredite zu finanzieren. Konsequenz: Wir hinterlassen unseren Kindern und Enkeln eine Infrastrukturwüste, die es richtig teuer macht, vernünftig zu wirtschaften.

Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Torsten Albig, fordert die Schaffung eines Sonderfonds "Reparatur Deutschland" neben dem Bundeshaushalt: "Deutschland wird auf Dauer wirtschaftlich keinen Erfolg haben, wenn wir weiter unsere Infrastruktur so verrotten lassen." Die im Koalitionsvertrag zusätzlich ausgehandelten fünf Milliarden Euro seien nur ein "Tropfen auf den heißen Stein", findet Albig. "Wir brauchen zusätzlich sieben Milliarden Euro – und zwar jedes Jahr."

Immerhin bringt Torsten Albig zusätzlichen Steuern und Abgaben ins Spiel, stößt dabei allerdings auf Widerstände selbst aus der eigenen Partei. Zurecht wird vom IMK 1darauf verwiesen, dass diese »Schlaglochpauschale« dem Grundsatz widerspreche, dass die Bürger je nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligt werden sollen.

Das Problem ist seit langem bekannt, aber die große Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag erfolgreich eine Vernebelungsstrategie praktiziert: Deutschlands Straßen, Brücken und Bahnlinien verrotten - getan wird zu wenig. In der Berliner Republik werden rund 53 Milliarden Euro zwar im Rahmen der Besteuerung des Verkehrs aus der Mineralöl-, der Kfz-Steuer und der Lkw-Maut eingenommen, aber nur 19 Milliarden Euro fließen wieder zurück in den Ausbau und Erhalt der Verkehrsinfrastruktur. Mit den im Koalitionsvertrag bis 2017 vorgesehenen zusätzlichen Infrastrukturmitteln von fünf Milliarden Euro für Straßen, Schienen und Wasserwege läßt sich der weitere Verfall der Verkehrs- und öffentlichen Infrastruktur nicht aufhalten.

Der Grund: Der Anteil der Investitionen an der Wirtschaftsleistung ist so gering wie nie in den vergangenen Jahrzehnten. Zugleich sparen die Finanzminister und Stadtkämmerer so viel wie möglich, um die Schuldenbremse einzuhalten. Die Folgen der Schuldenbremse: Der Anteil staatlicher Investitionen am Bruttoinlandsprodukt schrumpfte auf 1,5 Prozent, den niedrigsten Stand seit den 1970er- Jahren. Außerdem wird massiv Personal im öffentlichen Bereich abgebaut und auch bei den Sachausgaben im Bereich von Bundesländern und Kommunen gekürzt.

Nach einer Studie aus dem April 2013 summiert sich allein der Investitionsbedarf bestehend aus Ersatz-, Erweiterungs- und Nachholbedarf sowie dem Sonderbedarf aus der Energiewende im Betrachtungszeitraum 2010 bis 2015 auf 216,7 Mrd. Euro. Dem stehen tatsächliche bzw. geplante Investitionen der Städte und Gemeinden in Höhe von 114,1 Mrd. Euro gegenüber. Der Investitionsstau wird sich bis 2015 auf einen Betrag in Höhe von 102,6 Mrd. Euro aufsummieren. Die größten Investitionsdefizite bestehen aktuell in den Infrastrukturfeldern „Straßen-/Verkehrsinfrastruktur und ÖPNV", gefolgt von „Schulen und Kindergärten" sowie „Ver- und Entsorgung".2

Mindestens so dringend ist die Sanierung der Schienenwege. Schon heute säumen zahlreiche Baustellen die Bahnstrecken – und der Sanierungsbedarf wird ständig größer. Er ist das Ergebnis rückläufiger Investitionen in die Schiene. Nach einer Studie der Beratungsfirma SCI investierte Deutschland 2013 nur noch 51 Euro pro Einwohner in die Infrastruktur der Bahn. Das war weniger als die Krisenländer Italien (79 Euro) und Frankreich (63 Euro). Ganz zu schweigen von den hohen Investitionen anderer Staaten in ihr Schienennetz: In der Schweiz sind es 349 Euro pro Einwohner, in Österreich 258 Euro.

Wegen des Diktats der Schuldenbremse in den öffentlichen Haushalten ändert sich daran absehbar nichts. Je länger aber die nötigen Investitionen aufgeschoben werden, umso dramatischer die Folgen:

  • Die Schleusen des Nord-Ostsee-Kanal stehen kurz vor dem Zusammenbruch.
  • Fast die Hälfte der Autobahnbrücken ist für den Schwerlastverkehr gesperrt.
  • Auch bei der Bahn werden Strecken systematisch zurückgebaut. Ein gut ausgebautes Verkehrsnetz zerfällt.
  • Die Krise des Energiekonzerns RWE reißt viele Kommunen in NRW mit, da sie mit 25 Prozent an dem Konzern beteiligt sind. Allein die Stadt Essen muß aktuell einen Verlust von 900 Mio. Euro verkraften

Der Summe der notwendigen Investitionen in die Verkehrswege ist daher wieder Gegenstand von politischem Streit. Im Investitionsrahmenplan für die Jahre 2011 bis 2015 steht, dass insgesamt rund 44 Milliarden Euro in die Verkehrswege investiert werden sollen. Das sind umgerechnet etwa zehn Milliarden Euro pro Jahr für die Verkehrswege des Bundes, also Bundesstraßen oder Bundesautobahnen. Die Bund-Länder-Kommission unter der Leitung von Ex-Verkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) hat errechnet, dass für die Sanierung der Verkehrswege des Bundes, der Länder und der Gemeinden insgesamt zusätzliche 7,2 Milliarden Euro jährlich notwendig sind. In ihrem Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD dann auf lediglich fünf Milliarden Euro zusätzliche Mittel für die Verkehrswege des Bundes geeinigt, verteilt auf vier Jahre.

Wie also sollen die Löcher auf Deutschlands Straßen gestopft werden? Das Verkehrsministerium unter Dobrindt setzt auf eine "stärkere Nutzerfinanzierung", etwa durch die Ausweitung der Lkw-Maut oder der Einführung einer Pkw-Maut für Ausländer. Diese Idee ist umstritten, Experten bezweifeln, dass sie sich mit EU-Recht vereinbaren lässt.

LINKE Alternativen

Statt weiterer Stutzung des Sozialstaates brauchen wir ein umfassendes Investitionsprogramm und dafür müssen über ein sozial gerechtes Steuersystem die Mittel beschafft werden. Seit Jahren hat der Haushaltskonsolidierungskurs unter dem selbst gesetzten Diktat der Schuldenbremse zu einer finanziellen Ausblutung der Kommunen geführt, so dass ein aktives Gestalten der kommunalen Entwicklungen und Perspektiven kaum mehr möglich ist. Die zum Zwecke der Infrastrukturmodernisierung veranschlagten fünf Milliarden Euro decken für die Zeit bis 2017 die notwendigen Bedarfe bei Weitem nicht ab.

Diese bescheidenen Mittel stehen in krassem Widerspruch dazu, dass die Herausforderungen der Bildungs-, Gesundheits-, Verkehrs- und Energiepolitik neben weiteren gesellschaftspolitischen Handlungsfeldern im Wesentlichen weithin unbestritten sind. Für die Finanzierung dieses Investitions- und Ausgabenprogrammes ist ein Umbau des Steuersystems notwendig. Höhere Steuern auf hohe Einkommen, rentable Unternehmen, Kapitaleinkünfte und große Vermögen müssen stärker besteuert werden. Das generiert höhere staatliche Einnahmen und schafft mehr Steuergerechtigkeit.

Dazu gehört auch eine linke Alternative zum Länderfinanzausgleich. Aus LINKER Sicht muss der Kern des Länderfinanzausgleichs ein sozialer und solidarischer Föderalismus sein. Den Bundesländern soll es hierdurch ermöglicht werden, ihre Ausgaben an den Bedürfnissen ihrer Bevölkerung auszurichten, ohne gleichzeitig einem permanenten Druck zu unterliegen, Leistungen abzubauen oder auszudünnen.

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1 Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung

2Studie Investitionsstau bei kommunaler Infrastruktur - Aktueller Handlungsbedarf und langfristige Herausforderung von Städten und Gemeinden (dchp-consulting/opc) April 2013