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2. Mai 2014 Heinz-Michael Kittler / Björn Radke

Antrag: Prüfung der kommunalen Auswirkungen des TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership)

23.4.2014    

Die linke Kreistagsfraktion beantragt, der Ausschuss beauftragt die Verwaltung zu prüfen:

  1. welche möglichen Konsequenzen das derzeit vom EU-Handelskommissar verhandelte Transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) sowie das Abkommen mit Kanada (CETA) für den Kreis Segeberg hat, so z.B. für die öffentliche Auftragsvergabe, Energiepolitik und Umweltschutz wie auch für Tarife und Arbeitsbedingungen der kommunalen Gesellschaften und Eigenbetriebe?
  2. inwieweit durch eine Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels auch Dienstleistungen der Daseinsvorsorge für die BürgerInnen des Kreises Segeberg, wie z.B. in Bildung, Kulturförderung, Gesundheit, sozialen Dienstleistungen, Abwasser- und Müllentsorgung, öffentlichem Nahverkehr oder der Wasserversorgung, betroffen wären? (s.a. PTiSA als Folgeabkommen zu GATS)
  3. und im S-H Landkreistag zu beantragen, sich seitens des Landkreistages gegen dieses geplante
  4. Abkommen zu positionieren und entsprechend sowohl bei der Bundesregierung wie auch bei der EU-Kommission zu intervenieren.  

Begründung:

Wie aus der Beantwortung unserer Anfrage vom 06.12.2013 ersichtlich, ordnet die Verwaltung TTIP
in das Aufgabenspektrum der Bundeszollverwaltung ein (Anlage am Schluss der Begründung).  
Es geht bei diesem Abkommen aber im Wesentlichen um unterschiedliche Standards und Normen
bei Investitionen und Dienstleistungen, die in den USA wegen starker Lobbys im Allgemeinen
wesentlich niedriger liegen als in Europa.

Das trifft besonders für Gesundheit, Hygiene, Umweltschutz, Produktsicherheit, Urheberrechte, Finanzprodukte, Investitionen und Rechtspflege zu. In genau diesem Bereich will das Freihandelsabkommen eine "Harmonisierung" erreichen. Die Verhandlungen fußen auf der Vorstellung, dass Handel und Investitionen vereinfacht werden können, wenn in den USA und in der EU die gleichen Normen gelten.

Das Freihandelsabkommen entspricht mithin also als höhere Liga etwa dem Komplex der EU-
Richtlinien, unterscheidet sich aber z.B durch folgende Einzelheiten deutlich:

  • Durch ein heute noch unvorstellbares Ausmaß bis in den Kommunalbereich.
  • Die Verhandlungen liefen bisher meist hinter verschlossenen Türen. 
  • Statt Übergangsfristen soll es bei Abschluss unmittelbar wirken.
  • Statt ordentlicher Gerichtsbarkeit ist ein Vergleichsverfahren nach ISDS/ICSID* vorgesehen, dh: Kläger stellt Anwalt, Beklagter stellt Anwalt, beide einigen sich auf "Schiedsrichter"- Anwalt und unterwerfen sich seiner Entscheidung:
  • Kommt dar Vertrag zwischen USA und EU bilateral zu Stande, können Einzelstaaten nicht mehr aussteigen.

Was Punkt 3 unseres Antrages betrifft, dürfen wir darauf verweisen, dass der S-H Landkreistag in
seinen „Anforderungen an die Landesregierung“ vom März 2012 folgendes formuliert hat:

„Klares Bekenntnis des Landes zu den Kommunen und den kommunalen Aufgaben der
Daseinsvorsorge

Neben der oben bereits erwähnten Notwendigkeit der ausreichenden finanziellen Ausstattung der
Kommunen auf Landesebene in Bezug auch auf die Selbstverwaltungsaufgaben, erwartet die
kommunale Ebene gegenüber der Europäischen Union ein klares Bekenntnis des Landes zur
Aufgabenerledigung durch die Kommune. Daseinsvorsorge muss auch vom Land als ureigene
Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft begriffen werden; eine Kommune ist -auch in der
Wirtschaftsgemeinschaft Europa - kein „Wettbewerber" unter vielen sondern erfüllt einen
verfassungsrechtlichen Auftrag. Um diesen Auftrag unter ausgewogenen wirtschaftlichen
Bedingungen erfüllen zu können, dürfen nicht punktuell profitable Teilbereiche der Aufgaben der
Daseinsvorsorge liberalisiert werden, die Verluste aber den kommunalen Haushalten und damit
letzten Endes dem Bürger überlassen werden. Diese Position wird gestärkt durch den Vertrag von
Lissabon, der ausdrücklich die regionale und lokale Selbstverwaltung erstmals anerkennt.  
Insbesondere überlässt es die EU nach dem Vertrag von Lissabon dem Mitgliedsstaat die Aufgaben
der Daseinsvorsorge zu definieren, die den Kommunen vorbehalten bleiben sollen. Vor diesem
Hintergrund ist das Land aufgefordert, die Aufgaben der Daseinsvorsorge für die Kommunen zu
bewahren. Dabei ist insbesondere auch die Organisationshoheit der Kommunen zu respektieren und
ein Präjudiz, das eine Kommune z.B. zur Ausschreibung zwingt, obwohl diese die Aufgabe selbst
erledigen will und kann, nicht zu akzeptieren.“

Die Fraktion DIE LINKE geht davon aus, dass eine klare Positionierung des Landkreistages durch
eine entsprechende Initiative des Kreises Segeberg erwartet werden kann.

Zeitplan:

Seit Juli 2013 verhandelt EU Handelskommissar Karel de Gucht im Auftrag des EU Ministerrats mit
den USA idR. im Geheimen über TTIP. Für die zweite Jahreshälfte 2014 ist die letzte
Verhandlungsrunde vorgesehen. Im Laufe von 2015 ist der Abschluss geplant.
Allerdings wurden die Verhandlungen Anfang 2014 gestoppt. Dafür sind folgende Gründe in Umlauf:

  • Erhebliche Widerstände müssten abgearbeitet werden;
  • Die Europawahl soll abgewartet werden
  • Ein laufendes Korruptionsverfahren gegen de Gucht lässt ihm wenig Zeit.

Mögliche Szenarien ab 2015:

Ein via NSA bestens informierter amerikanischer Gesundheitskonzern will im Kreis Segeberg ein
großes Klinikum nach amerikanischen Standards und Tarifen errichten und betreiben. Er ist weder
an Krankenhaus-Bedarfspläne, Tarife, Pharmavorschriften, Krankentransportregeln noch an
Behandlungsrichtlinien und Gesundheitsreklameregeln gebunden. Wegen der beabsichtigten
Leichtbauweise verzögert sich sein Vorhaben schon an der Baugenehmigung. Er setzt sein
Vorhaben mit mehrjähriger Verzögerung dennoch durch. Für die Zeit der Verzögerung erwirkt er
ohne Berufungsinstanz Schadensersatz vom Kreis Segeberg wegen entgangenem Gewinn.

Ein amerikanischer Energie-Multi will nach amerikanischem Recht im Kreis Segeberg fracken. Dazu
gehört u.a. dass Art und Menge des eingebrachten Chemiecocktails Geschäftsgeheimnis ist.
Eine große deutsche Luftfahrtgesellschaft gründet in den USA eine Briefkastenfirma, verkauft ihre
Maschinen und least sie zurück. Da die USA als einziger Industriestaat das Kyoto-Abkommen nicht
unterzeichnet hat, sind die Emissionswerte meilenweit von der EU Verordnung entfernt.
Viele weitere Fragen sind unklar, z.B.:

  • Dürfen unter TTIP kommunale Sparkassen gestützt werden?
  • Muss unter TTIP die kommunale Wasserversorgung privatisiert werden?
  • Müssen alle kommunalen Dienstleistungen weltweit ausgeschrieben werden?
  • Verstoßen alle kommunale Umweltauflagen gegen den freien Welthandel?

Mit freundlichen Grüßen
Heinz-Michael Kittler

Anfrage: Freihandelsabkommen

Sehr geehrte Frau Hartwieg
Anbei eine Presseinfo des bayerischen Städtetages.  
Wir fragen die Verwaltung:
1.  Gibt es in unserer Kreisverwaltung eine Stelle, die sich mit dem Fortgang der Entwicklung
in dieser Angelegenheit beschäftigt?
2.  Falls ja, könnten Sie wohl in den Ausschüssen über den aktuellen Stand berichten?
Mit freundlichen Grüßen
Heinz-Michael Kittler         
 
Hallo Herr Kittler,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Hier innerhalb der Kreisverwaltung gibt es derzeit keine Stelle, die sich
bisher mit dem von Ihnen aufgeworfenen Themenbereich befasst hat oder eine Zuständigkeit im
Rahmen des Aufgabenvollzugs hätte.
Parallel habe ich noch die WKS angeschrieben, habe von dort aber noch keine Antwort erhalten.
Die Einhaltung von Freihandelszonen dürfte in das Aufgabenspektrum der Bundeszollverwaltung
fallen, da es sich um völkerrechtliche Verträge zur Gewährleistung des Freihandels unter den
vertragsschließenden Staaten handelt.
Im Moment sind wir alle hier etwas ratlos, wie wir mit Ihrer Anfrage umgehen sollen. Die
Kreisverwaltung scheint nicht der richtige Adressat für die Anfrage zu sein.  
Können Sie Ihr Interesse/Fragehintergrund ggf. noch etwas konkretisieren? Ansonsten schlage ich
vor, die Anfrage zurückzustellen.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Falck
 
 
www.bay-staedtetag.de/index.php  
Pressemitteilung vom 8.11.2013  
Internationale Freihandelsabkommen bedrohen die Daseinsvorsorge - Maly: Eine
neue Liberalisierungswelle könnte mit transatlantischer Wucht kommen

 
„Schon im Sommer haben wir dem Frieden nicht getraut. Im Juli 2013 schien es so, als hätten die
Kommunen einen Erfolg erzielt: Nicht zuletzt mit Hinweis auf den heftigen Widerstand der
europäischen Bürgerschaft hat EU-Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier den Entwurf der
Europäischen Konzessionsrichtlinie geändert. Die Versorgung mit Trinkwasser wurde aus der EU-
Konzessionsrichtlinie herausgenommen. Das bedeutete aber nur kurzzeitig Entwarnung. Die Ruhe
war trügerisch. Inzwischen bringen zwei globale Freihandelsabkommen neue Gefahren für die
kommunale Daseinsvorsorge, sogar die Trinkwasserversorgung in öffentlicher Hand könnte bedroht
sein," sagt der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags, Nürnbergs Oberbürgermeister Dr. Ulrich
Maly.
 
Das überraschende Nachgeben von EU-Binnenmarktkommissar Barnier bei der EU-
Konzessionsrichtlinie im Juli 2013 könnte strategisch gewesen sein, vermutet Maly: „Vorübergehend
haben marktliberale Kräfte in der EU-Kommission der kommunalen Daseinsvorsorge Terrain
überlassen, um die Bürgerschaft in Ruhe zu wiegen. Aber wir konnten uns nur kurz über einen
vermeintlichen Etappensieg freuen. Am Horizont steht schon die neue Liberalisierungsfront bereit:
Die EU verhandelt im großen Stil mit den USA auch über die Liberalisierung der Daseinsvorsorge. Im
Juli stieg die EU in dem Moment, als für die Wasserversorgung Entwarnung gegeben hat,
gleichzeitig in Verhandlungen ein, in denen es nicht zuletzt um eine Liberalisierung der
Wasserversorgung geht. Die neue Liberalisierungswelle ist umso gefährlicher, weil sie mit
transatlantischer Wucht kommt. Die EU-Kommission könnte in Zukunft mit Hinweis auf internationale
Abkommen eine Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen in Europa durchsetzen. Die neue
Bundesregierung und die neue Staatsregierung müssen wachsam bleiben, um eine Bedrohung der
kommunalen Daseinsvorsorge gar nicht erst möglich werden zu lassen."
 
Zwei globale Abkommen wollen öffentliche Dienstleistungen international liberalisieren. Damit kann
auch die Debatte über Ausschreibungspflichten für die öffentliche Wasserversorgung wieder auf die
Tagesordnung kommen. Anlass zur Sorge bieten die seit Sommer 2013 laufenden Verhandlungen
zwischen der EU und den USA über ein Freihandelsabkommen, die Transatlantic Trade and
Investment Partnership (TTIP). Maly: „Zunächst klingt es positiv, es klingt nach Erleichterungen für
Industrie und große Konzerne: Das Abkommen soll Handelshemmnisse für Chemie, Automobil,
Elektronik, Lebensmittel, Agrar und Finanzdienstleistungen beseitigen. Geplant ist die weltweit
größte Freihandelszone mit rund 800 Millionen Einwohnern." Die EU-Kommission führt im Auftrag
des Europäischen Rats die Verhandlungen mit den USA. Das Mandat umfasst auch kommunal-
relevante Handlungsbereiche, etwa das öffentliche Auftragswesen, Energiepolitik und Umweltschutz.
Nach dem jetzigen Zeitplan sollen die Verhandlungen bis Ende 2014 abgeschlossen sein. Das EU-
Parlament und der Rat müssten danach die Ergebnisse genehmigen und dann würden die Regeln
für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlich. Maly: „Eine Mitwirkung der Kommunen ist nicht vorgesehen.
Derzeit finden die Verhandlungen im Verborgenen statt. Über den Stand der Verhandlungen dringt
nichts nach außen - für die Menschen in Europa ist dies nicht transparent."
 
Seit Frühjahr 2013 laufen Verhandlungen über ein Folgeabkommen zum WTO-Dienstleistungs-
abkommen GATS (General Agreement on Trade in Services), das plurilaterale Abkommen über
Dienstleistungen (Plurilateral Trade in Services Agreement, PTiSA). Es geht um eine umfassende
Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels. Betroffen sind auch Dienstleistungen der
Daseinsvorsorge, wie zum Beispiel in Bildung, Kulturförderung, Gesundheit, soziale
Dienstleistungen, Abwasser- und Müllentsorgung, Energie, Verkehr und Wasserversorgung.
 
Das EU-Parlament hat in einer Entschließung am 4. Juli 2013 gefordert, dass die EU-Kommission
bei der Aushandlung von Marktzugangsverpflichtungen sensible Anliegen bei öffentlichen Dienstleistungen sicherstellen soll, etwa für öffentliche Bildung, Gesundheit, Wasserversorgung und Abfallwirtschaft. Maly: „Es ist fraglich, ob dies tatsächlich die Interessen der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland ausreichend schützen kann. Die Verhandlungen laufen hinter verschlossenen Türen, die Kommunen stehen ebenso draußen vor der Tür wie die europäische Bürgerschaft."

weitere Informationen:
Film von Attac:
www.attac.de/ttip